Blick in die Welt!

Liebe Leserinnen und Leser, 

Werte Farbenbrüder, 

Meine Blume euch ganz speziell zuvor! 

Wer zurzeit einen Blick in eine Zeitung wirft, könnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass unsere Welt aus den Fugen gerät. Ein unaufhörlicher Strom an Schreckensmeldungen flutet unsere News-Apps, Zeitungen und Fernsehsendungen. Sei es aufgrund von Kriegen, Terroranschlägen, schweren Verbrechen oder politischen Themen wie Massnahmen gegen den Klimawandel, Inflation und Altersvorsorge: 

Diskussionen darüber werden oft mehr von Emotionen als von Sachverstand geprägt. Demagogen aus unterschiedlichen politischen Lagern nutzen die Situation zu ihrem eigenen Vorteil und heizen die Stimmung zusätzlich an, wobei sie auch vor bewusster Manipulation oder der Verbreitung von Falschmeldungen nicht zurückschrecken. 

Diese aufgeheizte Stimmung trifft auf ein Lebensgefühl vieler Menschen, die sich nicht gehört oder gar abgehängt fühlen. Mit der Geschwindigkeit, mit der sich Gesell-schaften, Staaten und Unternehmen entwickeln, können manche Menschen schlicht nicht mehr Schritt halten. Diese „Abgehängten“ oder „Deplorables“, wie Hillary Clinton sie in einer denkwürdigen Rede nannte, haben in Demokratien jedoch das Recht zu wählen und abzustimmen. Wer sich im Stich gelassen und vernachlässigt fühlt, wird allerdings kaum jenen folgen, die sich aktiv für eine bessere Zukunft einsetzen, sondern eher den Demagogen, die eine Rückkehr in vermeintlich bessere Zeiten versprechen. Diese profitieren von der zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft entlang demografischer und politischer Bruchlinien, während Konservative, die das Feuer der Tradition weitertragen, und Progressive, die neue Ideen entfachen wollen, zunehmend in die Defensive geraten.

Unser Semestermotto „Blick in die Welt“ ist daher als eine Aufforderung in vielerlei Hinsicht zu verstehen. Zum einen sollten Diskussionen nicht dazu dienen, andere zu vernichten, sondern vielmehr dazu, Meinungen auszutauschen und die eigene Position zu hinterfragen. Andere Meinungen – und auch das ist heute nicht mehr selbstverständlich – sind zu respektieren! Zum anderen fordert uns das Motto auf, das Gehörte, Gesehene und Gelesene nicht nur auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen, sondern auch kritisch einzuordnen oder einen zweiten Blick darauf zu werfen. Nicht zuletzt sollte jeder, der das Privileg einer guten Bildung geniesst, sich auch der Lebensrealitäten anderer Menschen bewusst sein und seine erworbenen Fähigkeiten nutzen, um auch diese zu verstehen – also über den eigenen Tellerrand (oder das eigene Glas) hinaus in die Welt zu blicken. 

Nur so ist es möglich, sachlich über unterschiedliche Meinungen zu diskutieren und dem Auseinanderdriften unserer Gesellschaften entgegenzuwirken. Unser Semestermotto kann somit auch als eine Hommage an unsere Devisen verstanden werden. Unser Vaterland – eine Willensnation – kann nur mit einer geeinten Gesellschaft bestehen. Für Freundschaft braucht es gegenseitiges Verständnis und für die Wissenschaft sollten wir immer nach der Wahrheit streben. 

In diesem Sinne: Vivat, Cresceat, Floreat Tobinia San Gallensis! 

In den schönsten Farben der Welt, Rot-Weiss-Rot

Anjo Stehrenberger v/o Réduit